2004 · Antigona · Traetta · Rousset · Vigner (DE)

2004 inszeniert Vigner die Oper ANTIGONA, des italienischen Mozart-Vorläufers TRAETTA, in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten CHRISTOPHE ROUSSET. Es singen: MARIA BAYO, MARINA COMPARATO, KOBIE VAN RENSBURG, LAURA POLVERELLI und JOHN MC VEIGH. Die Oper wird am 21. März 2004 an der Opéra de Montpellier uraufgeführt und kommt im Juni 2004 ans Théâtre du Châtelet nach Paris. Vigner arbeitet mit den graphischen Künstlern M/M (Paris) zusammen, die das Bühnenbild zeichnen. Während STRAWINSKY den Mythos in seiner ursprünglichen Fassung zur Vorlage nimmt - die schildert, wie Ödipus nach und nach sein doppeltes Verbrechen, Vatermord und Inzest, erkennt - wendet sich TRAETTA der weiteren Folge zu, die sich an der Tragödie des Sophokles orientiert. Die Hauptperson ist Antigone, die Tochter des Ödipus.

"Antigone ist die Hauptperson der Oper, weniger auf Grund der Dauer ihrer Präsenz auf der Bühne oder der Anzahl ihrer Arien als wegen der Art und Wichtigkeit ihrer Handlungen. Von ihrem ersten Erscheinen mit "Fermatevi, crudeli" (I, 2) an scheint jeder ihrer Auftritte von einem Schleier von Spiritualität und Reinheit umhüllt zu sein, der ihre innere Zerrissenheit widerspiegelt. Diese zaubrische Atmosphäre wird nie zerstört, selbst nicht, wenn sie so zutiefst menschliche und alltägliche Gefühle wie Entrüstung oder Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck bringt."
Giovanna Ferrara

"Zwei Zwillingsbrüder, die einander bekämpfen und beide zusammenbrechen – wie die Twin Towers… Das ist die erste Szene der Oper ANTIGONA des italienischen Komponisten TOMMASO TRAETTA (1727-1779), und die Inszenierung von ÉRIC VIGNER greift von allem Anfang an diese Thematik auf." Diese Oper, zu ihrer Zeit ein Werk der Avantgarde, ist stets zeitgemäß, versichert CHRISTOPHE ROUSSET, der Dirigent dieses Musikdramas an der Wende vom Barock zur Klassik, das er mit seinem Orchester, Les Talens lyriques zur Aufführung bringt. Die Welt der ANTIGONA ist dekadent, die Handlung basiert auf Inzest und bricht in sich zusammen. Antigone ist die Tochter des Ödipus, der seine eigene Mutter Jokaste geehelicht hat. Antigones Brüder, Eteokles und Polyneikes, töten einander im Kampf um die Macht. Kreon, ihr Onkel, der zum König aufgestiegen ist, erlässt das Verbot, Polyneikes zu begraben, da er ihn für den Ausbruch des Bürgerkrieges verantwortlich macht. Antigone widersetzt sich dem Gebot des Tyrannen und bestattet ihren Bruder. Sie wird zum Tod verurteilt. "Antigone lehnt sich gegen Machtmissbrauch auf und verteidigt die Werte der Menschlichkeit," fährt CHRISTOPHE ROUSSET fort. "Sie hat keine Angst, ihre Stimme für eine gerechte Sache zu erheben. Widerstand zu leisten ist in jedem Zeitalter Gebot der Stunde, und ganz besonders heute angesichts der Missachtung menschlicher Werte durch die Politik. Ein guter Grund, dieses fast in Vergessenheit geratene und selten gespielte Werk wieder aufzuführen." Erwarten Sie sich also keine Akteure in gepuderten Perücken und Kostümen des achtzehnten Jahrhunderts. Die Inszenierung der ANTIGONA ist konsequent zeitgemäß und engagiert."
Ghislaine Arba-Laffont, La Gazette, 19/25 mars 2004

"Antigona wurde für Katharina II. von Russland komponiert, eine bedeutende Herrscherin und Förderin der Künste, die gerade durch ihr Mäzenatentum der Geschichte ihres Landes eine sehr persönliche Note gab. Die Geschichte der Antigone wurde für die Kaiserin ausgewählt: Antigone soll nicht sterben, sondern ihr wird verziehen, weil sie aus Liebe handelte. Die Oper beginnt stürmisch, mit dem Zweikampf der Zwillinge Euteokles und Polyneikes, die beide vor Antigones und der anderen Augen sterben. Diese Gewalttat löst Entwicklungen aus, die wie ein Zeremoniell ablaufen. In diesem Stück erfolgt der Tod der Brüder nicht durch Zufall, er ist gewollt, vorbestimmt, ja ersehnt, so als ob alles, das mit dem Inzest des Ödipus begonnen hat, hier und jetzt mit dem gegenseitigen Mord sein Ende finden solle. Ihr Tod ist eine Initiation, und die Botschaft an Antigone ist, dass die Geschichte ihres Vaters damit ein für alle Mal ihren Abschluss findet. Dass alles und alle untergehen müssen, um dem Neuen Platz zu machen. Antigones Tat trotzte nicht nur dem Gebot des Kreon, sie sollte das Gesetz außer Kraft setzen, so dass sie sich mit ihren Brüdern im Tod vereinigen könne, zu Staub werden, um sich mit dem Sternenstaub zu vermengen, mit dem Staub der Zeit. Wir wohnen einer Zeremonie der Vollendung bei, dem Ankommen am Ziel - und das inmitten der Ruinen der Welt in einer undefinierten Raum-Zeit. Auch die Ruinen der Welt bestehen nur weiter als verkohlte Zeichen, deren Nutzen und Bedeutung einst verständlich gewesen sein mussten."
ÉRIC VIGNER

"Beim Hören der Antigona denk’ ich zunächst an die Entstehung des Lichts, des schwarzen Lichts der Tiefen des Kosmos, des unaufhörlichen Wechsels zwischen Schwarz und Weiß, Projektionen des sternenerfüllten Weltraums, leuchtende Erinnerungen an die Cepheiden, an eine erloschene Sonne... Wie kann man die Tragödie der Antigone heute auf die Bühne bringen, da wir tagein, tagaus von Tragödien umringt, überwältigt werden? Das ist der Grund, warum ich mit den Graphikern M/M und mit Paul Quenson als Kostümbildner zusammenarbeite. Diese jungen Künstler bringen ihre Sicht der Gegenwart, der Welt von heute, in unser Projekt ein. Heute Traettas Antigona spielen heißt, das Publikum auf eine Reise der Sinne mitzunehmen, eine Reise durch ein Universum von Zeichen, die mit der ureigensten Geschichte jedes Einzelnen in Dialog treten."
ÉV

 

© Photographie: Alain Fonteray
Zusammenfassung der Texte: Jutta Johanna Weiss
Übersetzung aus dem Französischen: Herbert Kaiser
© CDDB-Théâtre de Lorient